Mittwoch, 26. Dezember 2012

Erlebnisse und Erkenntnisse einer Abenteuerreise II

Ankunft
Unter mir kann man das beleuchtete und eingeschneite Stockholm sehen, das sich langsam und dennoch zu schnell nähert. Die Anzeige, die mich darauf hinweist, dass wir bald landen werden und ich mich anschnallen muss leuchtet auf. Ich atme tief durch und lasse meinen Kopf, der durch das Gequengel übermüdeter Kinder bereits dröhnt langsam gegen das Flugzeugfenster kippen. Es ist ungemütlich und mein Nacken schmerzt. Aber das ist mir egal. Ich schließe die Augen und bewege mich nicht.
Ich hab grade Lust auf alles - nur nicht auf Abenteuer. Am allermeisten aber auf mein Bett. 
In meinem Kopf beginnen sich wieder Horrorszenarien zu bilden: verpasster Bus, keine Möglichkeit auf dem Flughafen zu schlafen, nichts zu Essen, verloren gegangener Koffer.
Als die Räder mit einem Ruck aufsetzten, werde ich aus meinen Gedanken gerissen und beschließe, dass ich grade sowieso zu müde bin, um mir Sorgen zu machen.
Wir kommen zum Stehen und die Menschen um mich herum beginnen schnell damit ihr Gepäck zusammenzusuchen. Sie sind pünktlich zu Weihnachten zuhause angekommen. 
Meine Reise beginnt grade erst, ein richtiges Zuhause habe ich irgendwie nicht und müde bin ich auch! Ich stehe nicht auf, sondern beobachte die Familien, die sich auf Weihnachten freuen. Ich bin eifersüchtig, wütend, wünsche mir liebe Menschen um mich und beginne mich in meinem Kopf selbst zu bemitleiden. Was wohl passiert, wenn ich einfach im Flugzeug sitzen bleiben würde und keinen Ton von mir gebe?
Die alte Frau neben mir spricht mich auf schwedisch freundlich an. Ich bin ein bisschen erschrocken und gebe ihr auf gebrochenem Englisch zu verstehen, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, was sie eben gesagt hat. Sie grinst, zuckt mit den Schultern und beginnt  ihr Gepäck hervorzukramen. 
Sie ist alleine hier, hat einen Wein getrunken und wirkt fröhlich, nicht verloren. 
Vielleicht kann man auch alleine glücklich sein. 

Weil mir ein Mann den Vortritt anbietet, bin ich gezwungen aufzustehen und mich durch engen Gänge meines Billigfliegers nach draußen zu kämpfen. Die vielen Menschen überfordern mich, ich fühle mich in der Menge allein, unpassend und flüchte kurzerhand auf´s Klo. Weil ich irgendwie auch nicht weiß, was ich sonst machen soll.
Eine ziemlich blöde Idee, wie mir bewusst wird als ich die Tür aufstoße. Aber Umdrehen sieht jetzt auch blöd aus. Ich betrete den Raum und verpasse die Chance den Herdeninstinkt zu nutzen und den Menschen einfach zur Kofferausgabe zu folgen. Fantastisch, jetzt muss ich mich in einem fremden Land auf einem riesen Flughafen mitten in der Nacht auf meinen Orientierungssinn verlassen. Das kann nur schief gehen.
Ich überlege einfach hier auf dem Klo zu bleiben - mein Handgepäck hab ich ja. 
Irgendwie entscheide ich mich dann doch um und verlasse mein Klo. Eigentlich war es ganz nett hier, überlege ich. Schwedische Flughafenklos sind anders als deutsche. Hier hatte man sogar ein eigenes Waschbecken pro Kabine. Zum Glück sind noch ein paar Menschen da, denen ich folgen kann.
Ich finde meinen Koffer und dann weiß ich auch schon nicht mehr was ich tun soll. Langsam wird die Halle leerer und ich starre noch immer das Gepäckband an, das sich mittlerweile ohne Koffer dreht. 
Als ich mich abwenden kann und wieder zu mir kommen, bemerke ich mein Herzklopfen. 
Ich setzte mich auf eine der Bänke und widme meine Aufmerksamkeit wieder dem Gepäckband, weil ich auch nicht weiß was ich sonst tun soll.
Ein Flughafenmitarbeiter fährt auf einem Tretroller an mir vorbei, ich finde das irgendwie paradox, fühle mich ein bisschen wie Alice im Wunderland, habe aber Angst ihn um Hilfe zu bitten, weil ich nicht weiß, ob mein Englisch gut genug ist. Ich versuche auf der harten Bank eine bequeme Position zu finden und scheiter. Der Flughafenmitarbeiter fährt wieder mit seinem Roller an mir vorbei und scheint mich garnicht zu bemerken.
Ich versuche keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Was ist, wenn der Flughafen nachts schließt und mich jemand auf die Straße setzt. Daran, dass Flughäfen in Hauptstädten wohl kaum jemals schließen denke ich nicht. Als ich nicht mehr sitzen kann und mir klar wird, dass ich hier irgendwie der einzige Mensch weit und breit bin, beginne ich mit Herzklopfen die großen Hallen zu erkunden und ignoriere dabei die Schilder, die auf den Ausgang hinweisen ziemlich erfolgreich. Überall stehen fremde Koffer, die ich mit Leichtigkeit stehlen könnte. So etwas gibt in Deutschland vermutlich nicht. Schweden ist anders. Ich habe das Gefühl, dass man den Menschen hier einfach viel mehr Vertrauen entgegen bringt.
Als ich die Hallen zum zweiten Mal durchlaufen habe, immer wieder auf Sackgassen gestoßen bin und meine Panik noch immer verhindert, dass ich die Schilder richtig deute, entdecke ich eine gepolsterte Bank und beschließe einfach hier zu schlafen. Vorher schreibe ich meiner Freundin aber noch eine SMS um ihr mitzuteilen, dass ich zwar in Stockholm ankommen bin, dieser Flughafen aber scheinbar keinen Ausgang hat und ich deswegen jetzt einfach erstmal schlafe.
Vielleicht muss man manchmal einfach den Mut haben etwas zu tun wovor man sich fürchtet und fremde Menschen auf einer anderen Sprache um Hilfe bitten. Aber das ist jetzt zu spät und irgendwie will ich auch garnicht darüber nachdenken, beschließe die Situation zu ignorieren und schließe die Augen.

Bis mich etwa 15 Minuten später ein Anruf aufschreckt. Am anderen Ende ertönt die etwas panische Stimme meiner Freundin, die mich aufklärt, dass ich mich im Gepäckraum befinde und da jetzt wirklich weg muss! Ich bin ein bisschen genervt, weil ihre Panik etwas ansteckend ist, entdecke aber plötzlich die Exit Schilder.
Der Flughafen scheint wohl doch ein bisschen größer zu sein, denke ich mir und ärger mich über meine Blödheit. Ich baue mein Nachtlager ab und folge erschöpft den Schildern.
Als sich die Türen, die den Gepäckraum vom eigentlichen Flughafen trennen (ich ärger mich noch ein bisschen, bin aber froh über den Anruf) öffnen, kann ich meinen Augen kaum trauen.
Vor mir steht Julia, die einen verrückten, selbst gebastelten Hut trägt, sich aber überhaupt nicht um die Blicke der anderen Leute kümmert. Ich kämpfe mit dem Tränen und renne auf eine meiner besten Freunde zu, die 10 Stunden Busfahrt auf sich genommen nur um mich abzuholen. Und dazu noch diesen furchtbaren Hut trägt und genauso verrückt ist, wie ich sie in Erinnerung habe.
Vielleicht muss man manchmal einfach ein bisschen Vertrauen haben. Irgendwie lösen sich Probleme immer. Wenn nicht durch Zufall, dann durch wunderbare Freunde.


 



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