Dienstag, 25. Dezember 2012

Erlebnisse und Erkenntnisse einer Abenteuerreise

Anreise
Im Grunde stellt es kein besonderes Abenteuer dar, sich in Europa fortzubewegen.
Für Menschen mit stark beschränktem Orientierungssinn, einem Sinn für dramatische Panikattacken und einem Defizit an Selbstständigkeit aber schon.
Und so machte ich mich alleine auf nach Schweden, um mit einer alten Schulfreundin Weihnachten zu feiern.
Nachdem ich mit einem Gemisch aus Vorfreude und grenzenloser Panik in den Zug nach Berlin gestiegen bin,war kurz nach meiner ersten Reisestation bereits wieder Zeit für etwas Unglück.
Der Zug (ein rüstiges Modell aus Polen mit ungarischem Boardrestaurant und einem Plumpsklo aus dem Mittelalter) stand. "Getriebeschaden",  wie mir einer meiner Mitfahrer noch vor der Durchsage mitteilen konnte. Zum zweiten Mal.
Ob Anschlussflugzeuge wohl warten? Ob mein Name am Flughafen durchgesagt wird, wie es in diesen fiesen  amerikanischen Filmen der Fall ist?
Nein - wohl eher nicht, muss ich mir eingestehen. 
Die Panik steigt und ich beginne mir in meinem Kopf einen Text zurechtzulegen mit dem ich die deutsche Bahn anklagen möchte. Bis mir klar wird, dass das wohl auch ein eher sinnloses Unterfangen wird und ich mich im Grunde ja eh nie trauen würde meinen Text, der zu 90% aus gruseligen Schimpfwörtern besteht der genervten Bahndame vor den Kopf zu schmettern. Und im Grunde kann die ja auch nichts dafür, auch wenn ich hier Bekanntschaft mit ziemlich unfreundlichen Exemplaren machen durfte.
Während ich meine Panik noch ein bisschen steiger, indem ich in meinem Kopf ein Horrorszenario von verpassten Flugzeugen, Terroranschlägen auf Flughäfen und Nächten auf Berliner Straßen nach dem anderen abspiele, merke ich, dass ich in meinem Abteil tatsächlich der einzige Mensch bin der vor Panik beginnt zu schwitzen.
Die junge Frau links neben mir klappt ihr Buch wieder auf und beginnt zu lesen, während sie bei jeder Durchsage (die im Grunde auch nichts anderes verkündet, als das was hier alle schon wissen, aber niemand laut auszusprechen wagt: Wir stehen. Und das auch noch ein bisschen länger.) mit ihren Nasenflügeln ein merkwürdiges Geräusch erzeugt.
Der Mann gegenüber von mir holt seinen Laptop heraus und beginnt eifrig darauf herumzutippen (irgendwas wichtiges für die Arbeit, wie er dem kleinen Jungen mitteilt, der seiner Mutter entkommen ist und nun mit klebrigen Patschefingern auf den Bildschirm des ihm völlig fremden Geschäftsmannes fasst).
Und plötzlich fällt die Panik von mir ab und mir wird eines klar:
Man kann ganz unterschiedlich mit blöden Situationen umgehen.
- Man kann etwas Gutes für sich tun und ein Buch lesen. 
- Man kann etwas nützliches tun, was getan werden muss und arbeiten.
- Man kann die Situation ignorieren und mit klebrigen Fingern den Rest der Welt erkunden.
- Man kann sich in die Situation reinsteigern und vor Panik anfangen zu schwitzen.
Nur eins kann man in den meisten Situationen nicht: Sie ändern.
Manchmal kann man sich bewusst für eine Art des Umgangs entscheiden. Manchmal nicht. Aber am besten erscheint es ersteres zu versuchen.

Und so setzt sich der Zug mit ein bisschen Bauchkribbeln aber ohne Angst wieder in Bewegung.
Mit Hilfe der jungen Frau komme ich pünktlich in Berlin an der S-Bahn Station an. Ich finde die richtige Haltestelle ohne vor Angst den Kopf zu verlieren. 
Es ist ein bisschen aufregend in so einer neuen Umgebung, ich fühle mich erwachsen, alleine mit meinen 2 großen Koffern. Bin unsicher, ob ich überhaupt richtig stehe und fühle mich so wunderbar frei, weil es eigentlich völlig egal ist, ob ich richtig stehe. 
Probleme lösen sich. Irgendwie.
Ich bin ein bisschen stolz auf mich und muss plötzlich grinsen. Hier in dieser Umgebung, die von Hektik, Anonymität und Müll dominiert wird.

Ich steige in die S-Bahn und sehe völlig unterschiedliche Menschen einsteigen. So große Unterschiede kann es nur in einer Großstadt geben.
Niemand sieht dem anderen in die Augen. Jeder ist für sich.
- Ein junger Mann steckt sich schnell Stöpsel in die Ohren und verschließt die Augen. Wovor?
- Eine etwa 40 Jahre alte Frau steht auf, um auszusteigen. Sie ist bepackt mit dicken Einkaufstüten, die zu Reißen drohen. Ihr Kopf ist rot. Ich frage mich, ob ich ihr helfen soll. Doch meine Soziophobie hält mich davon ab. Ich bin überfordert und fühle mich beobachtet. Sie niest. Ich wünsche ihr Gesundheit. Sie starrt mich überrascht an und wird dann aus der Bahn gedrängt. 
- Ein Mann mit einer Schirmmütze steigt ein. Er zieht einen Kampfhund mit sich, der vor Angst den Schwanz einzieht. Ich lächel dem Hund zu und kann ihn verstehen. Ich hoffe, dass er schon einmal fühlen durfte, wie es ist, wenn man völlig frei draußen herum springt.
- Eine dürre, stark geschminkte Frau mit grauen Haaren und der Kleidung, die zwar in eine Modezeitschrift aber definitiv nicht in eine Welt mit Minusgraden passt, zwängt sich zwischen meinen Koffern hindurch und setzt sich mir gegenüber. Ich lächel ihr aufmunternd zu und sie schaut weg. Mir fällt mein Reisoutfit und der große Fleck auf meiner Hose auf, den ich beschämt versuche mit meiner Hand zu bedecken, bis mir meine zu großen Finger auffallen. Während ich mir über den Sinn von zu großen Gelenken an Fingern den Kopf zerbreche, bremst die Bahn und meine Koffer quetschen das Pseudomodel an ihren Sitz.
Ich habe Angst, dass sie zerbricht und entschuldige mich sofort. Sie lächelt mich von oben herablassend an und murmelt irgendwas. Ich höre auf den Fleck zu verdecken, lege meine Hände offen auf den Koffer und mir wird etwas klar:
Ich will, dass es niemals so wird!
- Ich will die Augen niemals vor etwas verschließen, ich will versuchen das zu verändern, was mich stört.
- Ich will helfen und das tun was ich für richtig halte, egal was die anderen denken könnten.
- Ich will völlig frei draußen herumspringen und mich von nichts und niemandem anleinen lassen.
- Ich will mir niemals eine äußere Hülle aufbauen müssen und auf Menschen herabblicken nur um mich besser  zu fühlen.

Ich steige aus der S-Bahn und laufe zum Flughafen, froh dieser merkwürdigen Umgebung entfliehen zu können. Ich finde meine richtige Fluggesellschaft sofort, bin trotzdem nervös, gebe meine Koffer zu früh ab und ärgere mich darüber. Mein Trinken ist im Koffer und ich im Sicherheitsbereich. Aber man darf nervös sein und sich ärgern, wenn man lernt zu leben. 
Mein Flug hat Verspätung. 3 Stunden, in denen ich nicht weiß, ob ich überhaupt ankomme. Ich bin nicht nervös, ich bin müde! Eine Frau lächelt mir erschöpft zu. Wir verstehen uns, obwohl wir nicht dieselbe Sprache sprechen.
Als das Boarding beginnt, teilt die Fluggesellschaft Essensgutscheine aus. Ich schaffe es die (unsinnige) Angst meinen Flug zu verpassen zu unterdrücken und löse meinen Gutschein ein. Ich bin ein bisschen stolz und muss grinsen, als mir der Angestellte Mandarinen schenkt, weil ich scheinbar wirklich müde aussehe.
Als ich völlig erschöpft im Flugzeug sitze, aus dem Fenster schaue und den Schub beim Abheben spüre, erinnere ich mich an das Gefühl von Freiheit.
Zeit für Abenteuer!








2 Kommentare:

  1. Oh wow Anika!
    Ich bin unglaublich stolz auf dich und total be-
    geistert. Von deinem Schreibstil, deinen Erkennt-
    nissen, deinem Lebensmut, deiner Einstellung, von dir.

    Ein Post der ansteckt. Danke!

    Ich wünsche dir noch viele bereichernde Momente
    und eine wunderschöne Zeit. Schreib bitte alles
    auf! ;)

    PS: Wieso bist du nicht mehr bei facebook?
    Falls du irgendwann mal ne Mail schreiben willst:
    Cindy-Klink@web.de

    <3

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  2. Vielen Dank :)
    Ich werde sicher alles aufschreiben.
    Eine Mail schreib ich dir die Tage, dann weißt du auch warum ich nicht mehr bei facebook bin ;).
    Ich freu mich schon sehr auf unser Wiedersehen.

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